Ich frage mich oft: Muss ich immer alles sofort wissen? Und: Was passiert, wenn ich nicht weiß, wie etwas ausgeht, wie ich „hinten wieder herauskomme“? Wie gelingt es mir, mein Fühlen und Denken zusammenzubringen und Entscheidungen zu treffen, die von meiner Seele getragen werden und sich stimmig anfühlen?

Qualität des Nicht-Wissens

Dies vorweg: Ich muss überhaupt nicht alles hier und heute wissen. Gerade im Nicht-Wissen, in der Leere werden neue Impulse und Erkenntnisse geboren. Was wir brauchen, ist ein langer Atem und Vertrauen ins Leben. Wir können aushalten lernen, dass uns nicht immer unmittelbar zuteil wird, warum dies oder jenes gerade geschieht oder nicht geschieht. Für mich ist Nicht-Wissen ein echter Wert. Und ich bin mir sicher: Dinge geschehen, da sie eine Lektion für mich enthalten, auch wenn mir der Sinn meist erst in der Retrospektive bewusst wird.

Innehalten und der leisen Stimme lauschen

Wir kennen es vermutlich alle: Wenn wir zu viel über etwas nachdenken, zu stark auf einem Thema „herumdenken“, wird es oft nur verwirrender, nicht klarer. Das Geheimnis liegt darin, sich häufiger zu beobachten, sich selbst und Situationen aus der Vogelperspektive zu betrachten. Ich kann mich darin üben, meine Gedanken wahrzunehmen und sie zu fühlen. Neulich testete ich, wie sich das Wort „Geduld“ anfühlt, und ich stellte fest: gut, entschleunigend. Wenn es mir gelingt, innezuhalten und still zu werden, spricht’s leise aus mir heraus: Eine Stimme meldet sich, die mir Mut zuflüstert und mich ermuntert, vielleicht doch diesen neuen gewagten Schritt zu gehen – oder ihn gerade nicht zu gehen, auch wenn mein Umfeld ihn möglicherweise erwartet. Nach Beendigung des Referendariats erwarteten sicher viele meinen Eintritt in den Schuldienst. Ich machte mich stattdessen auf die Suche nach einer mir mehr entsprechenden Tätigkeit und lernte viele Bereiche der musiktherapeutischen Arbeit kennen. Oft erweist es sich als stimmig, dem Leben zu vertrauen, das Leben ein Stück weit unser Leben gestalten zu lassen.

Sich selbst auf die Schliche kommen: fein spüren, sich zeigen, entspannt kommunizieren

Immer wieder fordert uns das Leben auf, uns hinzugeben, manchmal auch Geduld zu haben, abzuwarten. Dann wieder: den nächsten, naheliegenden Schritt zu tun – oft im Unwissen, wie der darauffolgende Schritt aussehen wird. Sich selbst auf die Schliche zu kommen, sich kennenzulernen und anzunehmen bedeutet vor allem, sich aufmerksam zu beobachten und zu lernen, wie man wann tickt. Es bedeutet, die große Bandbreite der eigenen Gefühle wahrzunehmen und je nach Situation auszudrücken. Und es beinhaltet auch, Frustration und Unmut auszuhalten und zu reflektieren: Was genau will sich da zeigen? Was würde mein Herz mir jetzt raten? Was brauche ich? Manchmal ist es einfach Humor.

Immer feiner zu spüren und körperliche Reaktionen wahrzunehmen – gerade auch die unangenehmen -, milder zu werden mit uns und anderen lässt uns entspannen, und mit uns unsere Mitmenschen. Je entspannter und klarer wir sind, umso wacher, vom Herzen her können wir kommunizieren, so meine Erfahrung. Es lohnt sich, den leisen, verletzlichen Seiten in uns zu lauschen und ihnen Aufmerksamkeit zu schenken. Frage dich selbst: Was ist gerade los? Habe ich Angst, habe ich Stress? Was fehlt mir, oder was traue ich mich gerade nicht zu tun oder zu sagen? Ich erlebe es darüber hinaus als großes Geschenk, mit der Zartheit eines anderen in Berührung zu kommen und auch mein Gegenüber zu fragen: Was bewegt dich? Wonach sehnst du dich?

Wenn wir all das, was in uns schlummert – spontane Impulse, unsere Lebensfreude, Lust und Frechheit – nicht zurückhalten, sondern uns damit hinaus trauen und uns zeigen, geschehen oft auch wunderbare Dinge im Miteinander: Beziehungen haben die Chance, tiefer zu werden, sich neu auszurichten. Kürzlich hatte ich ein sehr lebendiges Gespräch mit einer alten Freundin, in dem wir sowohl unseren kleinen hässlichen Gedanken als auch unseren kühnen Ideen Raum gaben – gut tat das! Je mehr ich aus mir selbst schöpfe und mit mir experimentiere, desto organischer können Gefühl und Verstand zusammenarbeiten und sich vereinen. Wir dürfen auch im Alltag viel spielerischer sein, als wir’s oft sind: mit Worten, Bewegungen, Begegnungen und Situationen jonglieren und Menschen einladen, selbiges zu tun.

Auszug aus maaS No. 7 ‚Gefühl und Verstand‘

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